„Denen, die keine Stimme haben, eine Stimme geben“ - ein Interview

Ich nehme am Marsch für das Leben teil, um denen, die keine Stimme haben, eine Stimme zu geben. Ich möchte auch ein öffentliches Zeugnis dafür geben, dass ich das Leben, von Beginn an bis zum Ende für schützenswert halte und es nicht der Verfügbarkeit durch Andere überlassen möchte.

„Denen, die keine Stimme haben, eine Stimme geben“ - ein Interview
Ungeplant. Ungewollt. Ungeboren… Ich nehme am Marsch für das Leben teil, um denen, die keine Stimme haben, eine Stimme zu geben

Redaktion: Wer oder was schützt ungeborenes Leben heute?

Karl-Hans Köhle: Leider viel zu wenige Menschen. Die Ungeborenen haben keine Lobby. Ich würde mir wünschen, dass die Broschüre der deutschen katholischen Bischöfe „Leben von Anfang an“, die eindrucksvoll die Entwicklung des Kindes im Mutterleib von der Empfängnis an zeigt, eine große Verbreitung findet, um die Menschen aufzuklären. Dann würden viel mehr Bürgerinnen und Bürger erkennen und begreifen, dass bei einer Abtreibung ein Kindlein stirbt und beginnen, sich schützend vor diese Kinder zu stellen.

Redaktion: Was meinen Sie, wie es um den Lebensschutz von ungeborenen Kindern in Deutschland steht?

Karl-Hans Köhle: Nicht gut! Das Thema wird tabuisiert, man spricht es lieber nicht an, um den vermeintlichen Konsens in der Gesellschaft – Stichwort § 218 – nicht anzutasten. Dieser Konsens gefällt aber weder denen, die die Ungeborenen retten wollen, noch denen, die in ihm eine starke Restriktion für Abtreibungen sehen und den Paragraphen am liebsten gänzlich streichen würden.

Redaktion: Können Sie das mit Zahlen belegen?

Karl-Hans Köhle: Sehr gerne: in Deutschland, einem der wohlhabendsten Länder der Erde, treffen Jahr für Jahr rund 100.000 Frauen die Entscheidung, das Kind töten zu lassen, das sich in ihnen eingenistet hat. Vermutlich ist die Dunkelziffer laut statistischem Bundesamt noch deutlich höher und liegt bei 200.000 – 300.000 Kindern. Nur 3,8 Prozent der Abtreibungen werden aufgrund einer medizinischen Indikation durchgeführt, d.h. dass das Leben der Mutter bei einer Fortführung der Schwangerschaft bedroht ist. Im Jahr 2008 starben in der EU rund 3 Millionen Menschen an Abtreibung, gefolgt von rund 2 Millionen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Damit ist der Schwangerschaftsabbruch die mit Abstand häufigste Todesursache.

Redaktion: Wie engagieren Sie sich persönlich für den Lebensschutz?

Karl-Hans Köhle: Ich unterstütze seit vielen Jahren Lebensschutzorganisationen mit Spenden. Jungen Familien oder auch Alleinerziehenden, die während der Schwangerschaft in finanzielle Not geraten, besorge ich Hilfe durch die örtlichen Caritaskonferenzen oder den „Sozialdienst Katholischer Frauen“ (SkF). Ich habe zur „Woche für das Leben“ Vorträge zum Thema Lebensbeginn und -ende organisiert, mein Auto ziert das Logo der internationalen „Pro life“-Bewegung, und die Nachbildung der voll ausgebildeten Füßchen eines 10 Wochen alten Embryos trage ich am Revers meiner Anzugjacke. Nicht zuletzt nehme ich an Demos wie dem Marsch für das Leben teil.

Redaktion: Unter anderem SkF und Caritas sind mit Beratungs- und Hilfsangeboten sehr stark in diesen Themen. Reicht das Engagement der katholischen Kirche?

Karl-Hans Köhle: Die genannten Sozialdienste leisten eine sehr gute Arbeit, für die wir dankbar sind. Darüber hinaus freue ich mich über jede Stellungnahme der deutschen Bischöfe und der katholischen Laienvertretungen zum Thema Lebensschutz. Unser emeritierter Erzbischof, Hans-Josef Becker, gehörte neben dem Vorsitzenden der DBK zu den Bischöfen, die Grußworte zum Marsch für das Leben geschrieben haben. Aber aus ihrer Haltung als katholische Getaufte engagieren sich auch sehr viele Christinnen und Christen für den Lebensschutz, etwa bei „Donum Vitae“, „ALfA“, der „Aktion Leben“, den „Christdemokraten für das Leben“ (CDL), der „Stiftung Ja zum Leben“, bei „Tiqua“, der „Vereinigung zum Schutz schwacher und hilfloser Menschen“ usw. Viele dieser Gruppen gehören zum „Bundesverband Lebensrecht e.V.“, welcher den Marsch für das Leben organisiert.

Redaktion: Welche Angebote gibt es im Dekanat Siegen?

Karl-Hans Köhle: In den Gemeinden helfen die Caritaskonferenzen, Müttern und Familien beizustehen. Wir haben einen sehr guten „Sozialdienst Katholischer Frauen“, und auch „Donum Vitae“ unterstützt hilfsbedürftige Familien. Die katholischen Familienzentren und Kindertagestätten dürfen wissen, dass sie bei der Unterstützung von Familien in Konfliktlagen auf die Gemeinden bauen können. Vor kurzem hat das Dekanat zu einem Hintergrundvortrag über Lebensschutzthemen eingeladen, um das Bewusstsein zu schärfen. Zum Engagement für das Leben vor der Geburt gehört auch das Engagement für das Leben nach der Geburt. Die Unterstützung endet nicht mit der Geburt. Und auch für Notleidende in den sogenannten Entwicklungsländern geht das Dekanat Siegen jedes Mal auf die Straße, bei der vom Erzbistum Paderborn beworbenen Hungertuchwallfahrt für MISEREOR.

Teilnehmer des Marsches für das Leben in Berlin aus dem Dekanat Siegen - seit 2015 dabei © Dekanat Siegen

Redaktion: Frau Anders, warum nehmen Sie am „Marsch für das Leben teil“?

Ursula Anders: Ich nehme am Marsch für das Leben teil, um denen, die keine Stimme haben, eine Stimme zu geben. Ich möchte auch ein öffentliches Zeugnis dafür geben, dass ich das Leben, von Beginn an bis zum Ende für schützenswert halte und es nicht der Verfügbarkeit durch Andere überlassen möchte.

Redaktion: Was ist das Ziel dieser Demonstration?

Ursula Anders: Ziel des Marsches für das Leben ist, der Öffentlichkeit bewusst zu machen, dass auch Ungeborene das Recht auf Leben haben, das ihnen verwehrt wird, wenn andere darüber entscheiden, welches Leben lebenswert ist. Da in der öffentlichen Diskussion immer der Focus auf dem Selbstbestimmungsrecht der Frau liegt, ist es notwendig, den Blick auf die zu richten, die in dieser Debatte so leicht übersehen werden, das ungeborene Kind, der Mensch mit Handicap, der Mensch mit Altersgebrechen, der sich nicht mehr erwünscht sieht.

Redaktion: Der Marsch für das Leben, der bereits seit vielen Jahren als Demonstration stattfindet, bringt Menschen unterschiedlichster Hintergründe zusammen. Wie haben Sie den Marsch bisher erlebt?

Ursula Anders: Ich nehme seit vielen Jahren am Marsch für das Leben teil und habe die Teilnehmer des Marsches immer als sehr friedfertig erlebt. Auch die Organisatoren haben nach meinem Empfinden immer dafür gesorgt, dass es aus den Reihen der Teilnehmer weder Aggression noch Provokation gibt. Die Gegendemonstranten habe ich als sehr aggressiv erlebt, so dass die Polizei oft einschreiten musste. Ich habe mich gewundert, dass in der öffentlichen Berichterstattung ihnen eine so große Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde, während man die Anliegen der Teilnehmer am Marsch kaum der Rede wert fand. Dass es wenige Teilnehmer gab, die die Veranstaltung mit eigenen Themen und Ideen prägen wollten, fand ich sehr störend, habe aber erlebt, dass die Organisatoren immer wieder darauf hingewiesen haben, dass politische Statements von rechts hier keinen Platz haben. Um zu verhindern, dass die Veranstaltung als Plattform für rechte und undemokratische Ideen genutzt wird, werden die mitgeführten Transparente und Plakate von den Veranstaltern zur Verfügung gestellt.

Redaktion: Kritiker werfen den Organisatoren eine aggressive Rhetorik vor, in der die Nöte der Frauen vernachlässigt werden und Druck durch stark emotionale und polarisierende Begriffe und Bilder aufgebaut wird. Braucht es diese, um das Thema stark zu machen?

Ursula Anders: Ich habe umgekehrt den Eindruck, dass die Gegenreaktionen auf den Marsch für das Leben stark emotional und polarisierend sind. Wie kann es sein, dass tausende friedfertige Menschen in Stille und Schweigen mit Aussagen wie „Nie wieder unwertes Leben“, „Kein Kind ist unzumutbar“, „Jedes Kind will leben“, „Abtreibung ist keine Lösung“ „ungeboren +behindert = wertlos“ „Willkommenskultur auch für Ungeborene“ einen solchen Shitstorm auslösen, wie wir ihn jedes Mal während der Veranstaltung und im Anschluss daran über uns ergehen lassen mussten. Sollten nicht gerade die, die das Recht auf freie Entfaltung unabhängig von Geschlecht, ethnischer Herkunft, religiöser und sexueller Orientierung verteidigen, auf unserer Seite sein, um für das Recht auf Leben einzustehen? Wie kann es sein, dass wir uns als Reaktion auf eine friedliche Demonstration mit Hassausbrüchen und Beschimpfungen konfrontiert sehen. Ich bezweifele, dass die Kritiker sich mit dieser Seite der Medaille einmal ausführlich beschäftigt haben.

Redaktion: Ein weiterer Kritikpunkt zielt auf die politische Unterstützung durch rechte Gruppen, die an anderer Stelle gegen Flüchtlinge hetzen, Menschenrechte in Frage stellen und Nationalismus fördern. Das führt zu der Frage, inwiefern die Teilnahme am Marsch auch als politisches Statement verstanden werden könnte, das über den reinen Lebensschutz hinausgeht? Wäre hier nicht eine deutliche Abgrenzung besser?

Karl-Hans Köhle: Der Bundesverband Lebensrecht hat sich immer ganz eindeutig von den o.g. Positionen distanziert. Er sucht auch nicht die Unterstützung von rechten Gruppen. Das politische Statement, das beim Marsch für das Leben abgegeben wird, lautet: Es tut dem Gemeinwohl und der ganzen Gesellschaft gut, wenn der Mensch von seiner Zeugung an bis zum natürlichen Tod geschützt wird. Das dient letztlich dem Frieden. Hier fällt mir Mutter Teresas berühmter Satz in ihrer Friedensnobelpreisrede 1979 ein: „Der größte Zerstörer des Friedens ist heute der Schrei des unschuldigen, ungeborenen Kindes“. Wir können nur alle Skeptiker einladen, einmal selbst am Marsch für das Leben teilzunehmen und sich ein Bild von der Buntheit und gelösten Stimmung der Veranstaltung zu machen, an der auch viele junge Leute und Familien teilnehmen.

Quelle: https://www.erzbistum-paderborn.de/news/die-ungeborenen-haben-keine-lobby

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